Ein Naturwissenschaftler trifft auf einen Geisteswissenschaftler. Genauer: Ein Astrophysiker auf einen Philosophen. Genauer: Harald Lesch, den meisten bekannt aus dem Fernsehen mit Wissenschaftssendungen wie „Leschs Kosmos“ oder „Faszination Universum“, trifft auf Wilhelm Vossenkuhl, emeritierter Professor für Philosophie an der Ludwig-Maximilians-Universität München.
Was sollen die sich zu sagen haben, wie sollen die zusammenkommen, wo doch Naturwissenschaftler versuchen Naturphänomene zu erklären, die Philosophen dagegen wie Zahnärzte sind, die Löcher bohren, diese aber dann nicht füllen können.
Letzteres behauptet jedenfalls der italienische Autor von „Don Camillo & Peppone“, Giovanni Guareschi. Wilhelm Vossenkuhl stimmt zu Beginn eines Dialogs mit Harald Lesch, in dem sie sich gemeinsam 2500 Jahre Philosophie vornehmen, dieser Definition von Philosophie durchaus zu und gesteht damit ein, nicht für alle Löcher eine Füllung zu haben. Aber auch Harald Lesch weist darauf hin, dass Naturwissenschaft nicht alles selbst vermag, indem er feststellt, dass man ohne Philosophie keine Physik betreiben kann. Deswegen ist er auch nicht nur Naturwissenschaftler, sondern auch Naturphilosoph.
Und so befassen sich die beiden im ergänzenden Hin und Her mit den Vorstellungen und Konzepten der großen Philosophen und geraten in einen anregenden, erhellenden und zuweilen äußerst unterhaltsamen Austausch, der in dem 2015 im Heyne-Verlag erschienen Werk „Die großen Denker – Philosophie im Dialog“ auf sage und schreibe fast 700 Seiten dokumentiert ist.
Beim Lesen des Buches hat mich besonders interessiert, was die beiden über die Philosophen sagen, die sich auf dem Bad Mergentheimer Philosophenweg finden lassen. Den 460 vor Christus geborenen Philosophen der griechischen Antike, Demokrit, bezeichnet Lesch als „echten Durchblicker“, denn er war es, der zusammen mit Leukipp die Atome ins Spiel brachte. Laut Demokrit bewegen sich diese im leeren Raum und ihr Grundprinzip ist, dass sie unteilbar, unzerstörbar und ewig sind. Demokrit war aber nicht nur einer der größten Wissenschaftler seiner Zeit, sondern wohl auch ein sehr positiver Typ. Ihn zeichnet die Euthymia, die Wohlgemutheit aus, was bedeutet, dass er im Maß blieb und nicht mehr wollte als das, was er zum Leben brauchte.
Der Idealismus des Platon (427 – 347 v. Chr.) hat laut Vossenkuhl viel mit der Physik gemein, ist also nicht etwa weltfremd und weltfern. Denn so wie die Physiker nach Naturkonstanten und -gesetzen suchen, ging es auch Platon darum, etwas zu finden, was absolut stabil ist und sich nicht ändert.
Das Bild, das viele von Epikur (341 – 270 v. Chr.) haben, rücken die beiden zurecht. Er sei kein Lustphilosoph gewesen, der dem reinen Hedonismus das Wort geredet hat. Ihm ging es nicht um reinen Lustgewinn, oder wie Vossenkuhl sagt, um „Remmidemmi“ und „Killekille“, sondern vielmehr um ein „Wohlgefühl“, was bedeutet, dass man sich in der Welt aufgehoben fühlt. Erreichen kann man das nur, wenn man zur inneren Ruhe kommt und die Seele in ein inneres Gleichgewicht, in eine Bewegungslosigkeit bringt.
„… dass ohne einschränkende Macht der Zustand der Menschen ein Krieg aller gegen alle sei.“, so endet die Aussage von Thomas Hobbes (1588–1679) auf der Tafel 6 des Bad Mergentheimer Philosophenweges. Genau an diesem Punkt setzen Lesch und Vossenkuhl an und erläutern, dass laut Hobbes ein Staat notwendig ist, der verhindert, dass wir uns gegenseitig um die Ecke bringen.
Der Staat lenkt alles in die richtigen Bahnen, kontrolliert, nimmt alle und alles unter seine Fittiche. So kann jeder in aller Ruhe seinen Geschäften nachgehen. Die Kehrseite: Man ist unfrei und dem Staat ausgeliefert. Kritik und Widerstand sind nicht vorgesehen, denn man hat ja alle Rechte einem Souverän überlassen. Das nennt Hobbes dann einen richtig guten Staat. Fragezeichen sind angebracht!
Baruch de Spinoza (1632 – 1677), der sich später Benedictus nannte, lehrte, wie die beiden Philosophiefreunde feststellen, folgendes:
Alles ist eins, alles ist Gott. Gott ist Natur. Das bedeutet auch, dass der pantheistische Gott nur Individuen und nicht etwa Juden und Christen schuf. Konsequenz: Spinoza wurde als Atheist abgestempelt.
Just an dem Tag, als ich mich den Passagen über Voltaire (1694 – 1778) widmete, entnahm ich den Medien, dass das Land Nordrhein-Westfalen Meldestellen für Diskriminierungen „unterhalb der Strafbarkeitsschwelle“ einrichtet. Bei Voltaire würde dies wohl auf Widerspruch treffen, denn er war einer, der sich, wie Lesch feststellt, für das Recht auf Meinungsfreiheit jedes Menschen zerfleischen lassen würde. So ist dann von Voltaire auch folgender Spruch überliefert: „Mein Herr, ich teile Ihre Meinung nicht, aber ich würde mein Leben dafür einsetzen, dass Sie sie äußern dürfen.“
Kommen wir zu Immanuel Kant (1724 – 1804), einem der ganz Großen. Beide, Lesch und Vossenkuhl, sind bekennende Fans von ihm. Kein Wunder, denn er verstand nicht nur etwas von Philosophie, sondern auch von Physik. So hat er beispielsweise den Prozess der Entstehung des Sonnensystems beschrieben.
Kant ist derjenige, der den Rationalismus, das reine Denken mit dem Empirismus, der Erfahrung zusammenbringt. Erkenntnis setzt sich nach ihm aus sowohl rationalen wie empirischen Zutaten zusammen. Gott kann der Mensch laut Kant nicht erkennen, aber trotzdem „wabert“ bei ihm im Hintergrund etwas Theologisches herum, so Lesch. Gott kommt bei ihm als moralisch höchste Instanz, als oberster Gerichtshof ins Spiel, denn der Mensch kann sich nicht selbst auf die höchste moralische Position setzen.
Über Schelling (1175 – 1854) erzählt Vossenkuhl: „Für ihn war alles ein geistiges Phänomen. Auch die Materie. Das „Hier“ ist für ihn erstarrt in Bewegung. Das Lebendige – ein romantischer Begriff – die Lebenskraft oder die Kraft des Lebendigen ist ursprünglich geistig, nicht materiell. Das Materielle selbst ist eine Erscheinungsform des Geistigen. Alles ist eigentlich Intelligenz-Geist.“ Alles klar!?
So manche Schrift von ihm sollte man wohl am besten mit einem Kommentar als Hilfestellung lesen, was Vossenkuhl am Ende dann auch empfiehlt.
Dann wäre da noch Friedrich Nietzsche (1844 – 1900), den der Physiker und der Philosoph zusammen mit Arthur Schopenhauer besprechen, da die beiden ausgesprochene Pessimisten sind und derartig negativ über die Welt nachgedacht haben, dass es einen schier grausen kann. Lesch berichtet über ihn: „Auf er einen Seite sagte er: Ich bin kein Mensch, ich bin Dynamit. Aber auf der anderen Seite war er nicht in der Lage, einer Frau zu sagen, ich liebe dich, lass uns zusammen leben.“ Er war einerseits ein unglaublich gehemmter Typ, aber andererseits kannte er keine Hemmungen und keine Schranken. Er hat über alle Rahmenbedingungen hinaus und alle Grenzen hinweg gedacht. Er übergibt die Moral einem Übermenschen, der machen kann, was er will. Zu den erwähnten Philosophen und zu vielen weiteren bietet der Philosophiedialog natürlich noch vielmehr Stoff für lange Abende bei einem Glas Rotwein.
— Andreas Steffel