Aphorismen zur Lebensweisheit 1851

Aphorismen zur Lebensweisheit 1851

Die Arbeiten, die Schopenhauer erst näher in der Öffentlichkeit bekanntgemacht haben, waren die kleinen philosophischen Schriften, denen er den Titel „Parerga“ (Nebenwerke) und „Paralipomena“ (Nachträge) gab. Den eigentlichen Kernpunkt dieser Schriften bilden die eng zusammengehörigen sechs Kapitel, die er „Aphorismen zur Lebensweisheit“ nannte.
Von 1844–1850 schrieb er an diesen Abhandlungen, deren gedankliche Vorbereitungen sich durch viele Jahrzehnte hindurch erstreckten. Ihnen verdankt Schopenhauer den entscheidenden Durchbruch zu einem breiten Lesepublikum und dadurch auch die öffentliche Anerkennung für sein philosophisches Hauptwerk „Die Welt als Wille und Vorstellung“, auf die er so lange warten musste.

In seinen „Aphorismen zur Lebensweisheit“ führt Schopenhauer seine Leser in die ganze Tragik und Heiterkeit des menschlichen Daseins ein, wobei er messerscharf die zwischenmenschlichen Beziehungen und deren Auswirkungen auf unser Wohlbefinden analysiert und wertvolle Ratschläge für den Umgang mit uns selbst und unseren Mitmenschen gibt. Er kommt zu dem Schluss, dass es hauptsächlich der Mangel an Intelligenz und innerem Reichtum sei, der die Menschen zur Geselligkeit, zu Genüssen und Ausschweifungen treibe. Er trennt scharf diejenigen, die ihr Glück vergeblich nur im Materiellen dieser Welt suchen von denen, die es in sich selbst zu erkennen wissen.

Der Aphorismus von Chamfort in der Einleitung zu seinen „Aphorismen zur Lebensweisheit“ bringt diese Erkenntnis auf den Punkt: Das Glück ist kein leichtes Ding. Nur sehr schwer finden wir es in uns und anderswo gar nicht.“

Schopenhauer fährt dann fort: „Ich nehme den Begriff der Lebensweisheit hier gänzlich im immanenten Sinne, nämlich in dem der Kunst, das Leben möglichst angenehm und glücklich durchzuführen… – Im allgemeinen freilich haben die Weisen aller Zeiten immer dasselbe gesagt, und die Toren, d. h. die unermessliche Majorität aller Zeiten, haben immer dasselbe, nämlich das Gegenteil, getan: und so wird es denn auch ferner bleiben.“

Schopenhauers „ironische Lust an der Entlarvung des falschen Seins“ (Karl Voßler) ist auch das Hauptmotiv seiner Philosophie: die unverbrüchliche Wahrheitsliebe, die Befreiung von überkommenen Vorurteilen, die Entlarvung jeder Art von Schein, Trug und Verstellung, die Widerlegung aller falschen Glückserwartungen, die Hinwendung auf Ziele, die einer Vertiefung des Daseins dienen.

Leo Tolstoi über Schopenhauer in einem Brief an einen befreundeten Dichter:
„Wissen Sie, was für mich der vergangene Sommer gewesen ist? Ein unaufhörliches Entzücken an Schopenhauer und eine Reihe von geistigen Genüssen, wie ich sie nie empfunden habe…Ich weiß nicht,
ob ich meine Meinung einmal ändern werde, jetzt jedenfalls bin ich überzeugt, dass Schopenhauer der genialste aller Menschen ist…
Wenn ich ihn lese, ist mir unbegreiflich, weshalb sein Name unbekannt bleiben konnte. Es gibt höchstens eine Erklärung, eben jene, die er selber so oft wiederholt, nämlich dass es auf dieser Welt fast nur
Idioten gibt.“ Lew Nikolajewitsch Tolstoi (1828 – 1910)

 

— Hans Stoppel

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