Liebe Leserinnen und Leser,
„Wir machen den Weg frei“, lautet ein bekannter Werbeslogan.
Sie kennen ihn. Er ist sehr erfolgreich, suggeriert er doch, dass einem alles abgenommen wird und man selbst nichts zu leisten braucht. Das ist wohl aber so nicht gemeint, denn das Geldinstitut, das mit diesem Spruch wirbt, erläutert, dass es alle unterstützt, die den Mut haben, ihre Zukunft selbst in die Hand zu nehmen: Ideenhaber und Anpacker, Familien und Pläneschmieder, Mitbestimmer, Unternehmer und Alltagshelden. Von Nichts-Tun-Müssen und Verantwortung abgeben ist da nicht die Rede. Man muss den Weg schon selbst gehen.
Dies klingt stark nach Subsidiarität, einem Sozialprinzip der katholischen Soziallehre, laut dem bei der Gestaltung gesellschaftlicher und politischer Verhältnisse darauf zu achten ist, dass die Eigenverantwortung ermöglicht und gefördert wird.
Dass dieses Prinzip in Deutschland zunehmend weniger Beachtung findet, darauf hat schon vor einigen Jahren der Benediktinerabt Notker Wolf in seinem Buch mit dem Titel „Worauf warten wir? Ketzerische Gedanken zu Deutschland“ hingewiesen (vgl. tolle et lege im Keb-Programm Dekanat Mergentheim 2022-1).
Auch in der Bildung lässt sich zunehmend die Tendenz zur Einschränkung der Subsidiarität feststellen.
Von der Politik wird seit vielen Jahren beschworen, dass man in Bildung investieren muss. Mantramäßig wird wiederholt: frühkindliche Betreuungseinrichtungen ausbauen, Ganztagesschulen flächendeckend einführen, Schulen digitalisieren, Lehrerausbildung verbessern. Doch je öfters diese Mantras wiederholt werden, desto weniger scheinen sie Wirkkraft zu entfalten. Zeigt doch die Wirklichkeit, dass der Energieschub für bessere Bildung ausbleibt.
Dies zeigen die Ergebnisse der aktuellen Pisa-Studie. Vielleicht wäre es besser, nicht gemäß dem Motto „Viel hilft viel!“ immer mehr vom selben Medikament zu verabreichen.
Was in der Diskussion häufig nicht vorkommt, ist der erste Bildungsort, der Kinder und Jugendliche am dauerhaftesten und umfassendsten prägt: die Familie. In dieser erfahren Heranwachsende in den allermeisten Fällen Unterstützung und Halt, Struktur und Sicherheit. Sie bildet den Humus, auf dem Kompetenzen wachsen und gedeihen können.
Nach dem Subsidiaritätsprinzip wäre zu überlegen, wie man Familien den Weg so frei macht, dass sie in Sachen Bildung selbst anpacken, Pläne schmieden und mitbestimmen, als kleine Bildungsunternehmen fungieren und zu Bildungshelden werden können.
Das heißt nicht, dass man Familien alle Lasten aufbürdet; vielmehr sollen sie Hilfen erhalten, die eigenständiges und eigenverantwortliches Wirken unterstützen. Den Familien kann durchaus mehr zugetraut werden. Dass sie es können, haben sie nicht zuletzt in der Pandemiezeit vielfach bewiesen.
Mit einer derartigen familiären Bildungsinvestition, die auch durch Angebote der Erwachsenenbildung unterstützt werden soll, lässt sich vielleicht mit mehr Zuversicht in die Zukunft blicken und sagen: „Morgen kann kommen.“ Übrigens: Diese Wendung hat das besagte Geldinstitut mittlerweile seinem Werbeslogan „Wir machen den Weg frei“ vorangestellt.
Andreas Steffel
Leiter Keb Dekanat Mergentheim e.V.